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Peter-Paul Wrede (1909-1975)

Bellman-Forscher, Sammler und Übersetzer

„Schlaf ist eine dumme Angewohnheit“ - Bellman-Übersetzer Peter-Paul Wrede an seinem Schreibtisch, 1969Auf täglichen Zugfahrten von Braunschweig nach Hannover und zurück arbeitete Peter-Paul Wrede in den 50er Jahren an der ersten vollständigen Übersetzung der Episteln und Lieder des Rokokodichters und -sängers Carl Michael Bellman von der schwedischen in die deutsche Sprache. Zu Hause angekommen tippte er zunächst die Manuskripte ab. Er übersetzte nach dem strengen Kriterium, bei möglichst akribischer Worttreue den Rhythmus und die Leichtigkeit der schwedischen Sprache Bellmans beizubehalten. Dazu verglich er in langen nächtlichen Sitzungen seine Texte mit den Tonbandaufnahmen schwedischer Sänger. In schier unendlichen „Start-Stop-Wiederholungsschleifen“ horchte er in Poesie und Musik hinein. Die Anregung zur Übersetzung von Bellmans Liedern und Episteln kam bei Peter-Paul Wrede nicht von der Musik her, sondern vor allem aus Begeisterung für Bellmans Lyrik. „Mein Vater hätte Bellman auch übersetzt, wenn er nur Dichter gewesen wäre“, hebt seine Tochter Jutta Hegemann hervor.

„Schlaf ist eine dumme Angewohnheit“ war ein typischer Ausspruch von Peter-Paul Wrede. So lautete auch der Titel des Vortrags von Margarete Löwensprung über den Bellman-Übersetzer im Rahmen des „Bellman-Festes“ auf der Burg Waldeck am 20. Mai 2006, veranstaltet von der Deutschen Bellman-Gesellschaft e.V.

Peter-Paul Wrede (mit Gitarre) als Abiturient im Jahr 1929Peter-Paul Wrede wurde am 19. Juni 1909 in Berlin geboren. Nach dem ersten Weltkrieg hielt er sich auf Einladung des Schwedischen Roten Kreuzes als Berliner Kriegskind in Järdala-Hamra bei Linköping (Östergötland) auf. In den Jahren 1921-29 kam er als Austausch-Schüler regelmäßig nach Saltsjö-Järla bei Stockholm. Als Schüler und Student sang Peter-Paul Wrede Lieder zur Gitarre, was ihm bei Freunden den Spitznamen „Bellman“ eintrug. Wrede studierte Jura und Zeitungswissenschaften. Nach wenigen Jahren als Werbeleiter in der Industrie war er ab 1935 als Lektor und Referent für Skandinavien am Arbeitswissenschaftlichen Institut in Berlin tätig. 1935 heiratete Wrede, drei Kinder gingen aus der Ehe hervor. 1940 promovierte er in Berlin zum Dr. jur. mit der Dissertation „Der Weg zur öffentlichen Verantwortlichkeit der Presse“. Nach dem Wehrdienst und kurzer englischer Kriegsgefangenschaft arbeitete er ab 1945 als freier Journalist. Ab jetzt reiste Peter-Paul Wrede wieder häufig nach Stockholm, Värmland und Lappland. In den 50er Jahren war Wrede Sachbearbeiter im Industriedezernat der Industrie- und Handelskammer in Bielefeld und wissenschaftlicher Begleiter von Studienreisen nach Skandinavien. Dann folgte von 1960-74 seine Tätigkeit als Ministerial-Pressereferent in der Pressestelle der Niedersächsischen Landesregierung in Hannover.

Peter-Paul Wrede, ca. 1970Peter-Paul Wredes Töchter berichten über ihren Vater, dass er eine herausragende umfassende Allgemeinbildung besaß, sehr viel Zeit mit Lesen verbrachte und viel Geld für antiquarische Bücher ausgab. Journalistische, bibliothekarische und archivarische Neigungen und Fähigkeiten ließen ihn ruhelos forschen, sammeln und aufzeichnen. Zur Familiengeschichte sowie dem Leben und Werk Carl Michael Bellmans legte Peter-Paul Wrede ein umfangreiches Archiv an, das neben seinen eigenen Forschungsarbeiten viele Bücher, Zeitschriftenartikel, Schallplatten und Tonbänder in schwedischer und deutscher Sprache enthält. Mit Leidenschaft sammelte er Aufnahmen aller bekannten Bellman-Interpreten. Jede neue Aufnahme trug er sorgsam in Tabellen ein. Darüber hinaus stellte er Textvergleiche verschiedener Übersetzungen und Nachdichtungen von Bellmans Versen an. Alle Archivalien wurden auf Karteikarten und in Oktavheften akribisch genau verzeichnet. „Rauchend und mit viel kaltem, schwarzem Kaffee saß mein Vater unermüdlich an seinem Schreibtisch. Er lebte am liebsten ungesund, war aber nur sehr selten ernsthaft krank“, berichtet Jutta Hegemann, geb. Wrede.

1950 begann Peter-Paul Wrede mit den Bellman-Übersetzungen „für sich selbst“, wie seine Tochter heute erinnert. 1954 gründete Wrede die „Deutsch-Schwedische Gesellschaft“ in Bielefeld. 1971 vollendete er seine Übersetzung sämtlicher „Fredmans Episteln und Lieder“. Jahrelang suchte er für sein Werk - bestehend aus 600 Seiten Text, Notenteil und Melodien auf Tonband - einen Verleger. 1973 ließ er eine handwerklich schön gebundene private Prachtausgabe mit Notenteil und Tonband anfertigen, gewidmet Seiner Majestät dem König Gustav von Schweden. Wredes Verhandlungen mit Verlagen blieben aber weiter ohne Erfolg. Als Begründungen für die Ablehnung der Manuskripte nannten Lektoren und Verleger die „mangelnde Bekanntheit Bellmans“, „zu aufwändige Gestaltung mit Notenteil und Tonträgern“ sowie bereits getätigte Vertragsabschlüsse mit Schwarz, Grasshoff oder Zuckmayer. Wrede führte umfangreiche Briefwechsel auf deutsch, schwedisch und englisch mit diversen Verlagen, Zeitungsredaktionen, Rundfunkanstalten, Institutionen, Bibliotheken, Künstlern und Freunden, darüber hinaus mit seinen Mitstreitern in der Herren-Künstlervereinigung „Schlaraffia“, bei deren Sitzungen er gern seine Verse vortrug. Nachdichtungen, die sich nicht eng an die schwedische Vorlage hielten, kritisierte Wrede in seinen Briefen mit Leidenschaft. Um Bellmansänger, -forscher und -freunde auf sein Werk aufmerksam zu machen, scheute Wrede keine Kosten und Mühe. Er schrieb an Carl Zuckmayer, Grasshoff und Carl Raddatz, korrespondierte mit Paul Britten Austin, Jerker Engblom, Karl Wolfram und Hai & Topsy Frankl, um ein paar Beispiele zu nennen.

Ein Höhepunkt, der bereits in den 60er Jahren stattfand, war die erste offizielle Einladung Wredes nach Stockholm. Am 20. Januar 1965 hielt er auf Einladung vom Germanistenverein des Deutschen Kulturinstituts (Zweigstelle des Goethe-Instituts München) im Studentenheim Nyponet in Stockholm den Vortrag „Hundert Jahre Carl Michael Bellman in deutscher Sprache“. Da Wrede selbst kein guter Sänger war, bat er den schwedischen Sänger Bo Sundblad, die Bellman-Lieder auf deutsch zu singen. Obwohl Peter-Paul Wredes Bellman-Übersetzungen in Schweden und Deutschland großes Lob ernteten und viele Lieder und Episteln von Carl Michael Bellman mit der Wrede-Übersetzung erstmalig in deutscher Sprache vorlagen - allein über 30 Erstübersetzungen von Fredmans Liedern -, wurden nur wenige von Peter-Paul Wredes Übersetzungen auf Schallplatten und in Rundfunksendungen veröffentlicht oder in Konzerten aufgeführt. Er litt seelisch und gesundheitlich immer mehr an Zurückweisungen und Nichtanerkennung seiner großen Leistung. Abgesehen davon musste der Autor ständig um die Tantiemen für Musikproduktionen kämpfen. 1973, kurz vor dem Tod Gustav Adolf VI., erhielt Peter-Paul Wrede die Anerkennung des schwedischen Königs für sein Lebenswerk. Am 3. November 1975 verstarb Peter-Paul Wrede nach schwerer Krankheit.

Topsy Frankl über Peter-Paul Wrede

Zu den schönsten Interpretationen von Wredes Bellman gehört ganz sicher die Epistel 43, gesungen von Topsy Frankl auf der Schallplatte „Carl Michael Bellman“ von Hai & Topsy aus dem Jahr 1975.

Dazu der Auszug aus einem Brief von Topsy Frankl an Margarete Löwensprung vom 1.9.1997:

Die ganze Geschichte hat uns so leid getan, dass gerade seine Version, so feinfühlig, so akribisch folgsam und gleichzeitig mit Beibehalten von Elastizität, Leichtigkeit und Humorsinn, dass gerade sein Werk nicht einen Verleger hat finden können. Zum Beispiel in Epistel Nr. 43, wo Ulla ihr Kind kriegt (unehelich) und geheim - wegen der Sittlichkeitspolizei -, und wo Bellman mit liebevollem Ernst und Achtung der Situation gegenübersteht; so eine Übersetzung darf ja nie grob oder burlesk oder mit falscher Scherzhaftigkeit dargestellt werden. P.P. Wrede macht es so innig, wie Bellman es geschrieben hat! (Du siehst, ich glühe für “unseren“ Wrede!)

Carl Michael Bellman: Ep. 43, Mach Bier warm mit Brot (Übersetzung Peter-Paul Wrede) [pdf, 9 KB]

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Peter-Paul Wrede - Veröffentlichungen

Vorträge

  • "Carl Michael Bellman, der schwedische Anakreon", Vortrag gehalten vor der Deutsch-Schwedischen Gesellschaft in Bielefeld (deren vorl. Vorsitzender Wrede zu diesem Zeitpunkt war) im Kinosaal der „Brücke“ am 18. Oktober 1954
  • "Hundert Jahre Carl Michael Bellman in deutscher Sprache" (Sein Werk im Echo der deutschen Literatur) in Zusammenarbeit mit dem Germanistenverein, Deutsches Kulturinstitut, Zweigstelle des Goethe-Instituts München, im Studentenheim Nyponet in Stockholm am 20. Januar 1965
  • Bellman-Vortrag in Dortmund (o. nähere Angaben) am 25. Mai 1965

Veröffentlichungen

  • "Biografische Angaben zu älteren Bellman-Übersetzern" v. Gumpenberg, Niedner, Willatzen, v. Winterfeld, o. Jahr
  • "Hette Bellmans förfader Bellmer?", „Müsste Carl Michael Bellman eigentlich Bellmer heißen?“ (übs. v. Autor), in „Svenska Dagbladet“ vom 20. Juli 1969
  • "Aus Bellmer wurde Bellman. Die Vorfahren des schwedischen Rokokodichters stammten aus Schwanewede", in „Weserkurier“ vom 17. Oktober 1969
  • "Auf den Spuren von Bellmans Vorfahren in Deutschland" Särtryck ur Personhistorik Tidskrift, årg. 66, 1968-69
  • "Bellman in deutscher Sprache" in: Ausblick, Zeitschrift für Deutsch-Skandinavische Beziehungen, Lübeck 1984 (posthum). Der Artikel enthält die Texte von Lied 21 (Tischlied), Lied 61 (An die Flasche), Epistel 21 (Wolken verdunkeln), Epistel 23 (Ach, meine Mutter), Epistel 43 (Mach Bier warm mit Brot).

Rezensionen und Leserbriefe

  • “Ich bin da, und ich will leben ...“, Buchbesprechung „Fredmans Episteln an diese und jene, hauptsächlich an Ulla Winblad“, hrsg. Von Hans Marquardt im Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1965, für die Stockholmer „Bellman-Sällskapet“ und Zeitungen der Bundesrepublik, Braunschweig, den 4. Juli 1965
  • „Schwedens Anakreon, Gedichte von Carl Michael Bellman in deutscher Übersetzung“, Zeitungsartikel in der „Welt - Die Welt der Literatur“ vom 25. 11. 1965
  • „Rokoko im Hafenpinten-Argot, Fritz Graßhoff übertrug Carl Michael Bellman“, Zeitungsartikel in der „Welt - Die Welt der Literatur“ vom 7. Juli 1966
  • „Episteln und Lieder des Carl Michael Bellman, Zu elf schwedischen und deutschen Schallplatten“, umfangreicher und bebilderter Zeitungsartikel in „Welt - Die Welt der Literatur“ vom 16. Februar 1967
  • Leserbrief von Peter-Paul Wrede (als Antwort auf einen Leserbrief der TELDEC vom 30. März 1967) in „Welt - die Welt der Literatur“ am 11. Mai 1967
  • Zur ersten deutschen Bellman-Schallplatte: „Carl Michael Bellmans Poesie in Carl Zuckmayers Schauspiel ‚Ulla Winblad’“, 11 Seiten, o. Datum
  • „Bellman in der deutschen Literatur“, Entwurf für ein Mikrofon-Gespräch im Stockholmer Sender, 19. November 1964

Peter-Paul Wredes Bellman-Übersetzungen auf Schallplatten

  • Karl Wolfram „Wolfram singt Carl Michael Bellman-Lieder“, 1965
    (Lied Nr. 35)
  • Karl Wolfram: „Wolfram singt Trinklieder I“, 1966/67
    (Lied Nr. 21 u. 31)
  • Karl Wolfram: „Wolfram singt Trinklieder II“, 1966/67
    (Lied Nr. 61 u. 35)
  • Karl Wolfram: „bibelfest und immer durstig“ 1967
    (Lied Nr. 35)
  • Karl Wolfram „Liebe Wein &Tod“, o.J.
    (Epistel Nr. 80 u. Lied Nr. 39)
  • Hai & Topsy Frankl „Carl Michael Bellman“, 1975
    (Episteln Nr. 2, 67, 28, 43, 69, 54, 44, 1, 34, 24, 23)
  • Harald Juhnke: „aber vor allem würde ich trinken“ 1975
    (Lieder Nr. 10, 14, 8, 35; Episteln Nr. 4, 21, 31, 10, und 27)
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Das Bellman-Archiv des Peter-Paul Wrede

Das Bellman-Archiv des Peter-Paul Wrede

Die Bellman-Sammlung aus dem Nachlass des Peter-Paul Wrede befindet sich seit 2005 im Archiv der „Klingenden Brücke München“ (Margarete Löwensprung), wo das Material wissenschaftlich erschlossen und zugänglich gemacht wird und mit der digitalen Sicherung der Tonbandaufnahmen begonnen wurde. Die Sammlung Wredes aus dem Zeitraum 1950-1975 wurde ergänzt durch den Bestand an Büchern und Tonträgern von Margarete Löwensprung aus den Jahren 1966-1999.

Das Copyright für Peter-Paul Wredes Werk liegt bei Familie Wrede.

Kontakt zum Archiv

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[Die Fotos 1-3 auf dieser Seite wurden freundlicherweise von Jutta Hegemann/Wrede zur Verfügung gestellt.]